Wir alle kennen sie noch zu gut aus unseren Kindertagen. Gebannt sitzen wir vor dem Fernseher und lauschen Marijke Amados magischen Worten "Ab mit dir in die Zauberkugel", worauf hin ein junges Mädel oder ein forscher Bub in ein mystisches Licht tritt und im nächsten Moment, äußerlich verwandelt als kleiner Superstar, die große Showbühne rockt.
Wäre es nicht schön, wenn Marijkes Zauberkugel auch bei uns Erwachsenen funktionieren würde? Eine große Kugel mit Schiebetüre sowie Licht- und Nebeleffekte, aus der man als Superstar in voller Energie hervortritt, ausgestattet mit einem gigantischen Vertrauen in die eigene Kraft? Was wäre das für ein Leben in Fülle und Sorgenlosigkeit. Pures Lebensglück.
Und tatsächlich wird uns diese Versprechung heute zu Hauf gemacht. Tippt man mal bei Instagram den Suchbegriff "Persönlichkeitsentwicklung" ein und schaut, mit welcher Vehemenz hier Werbung für ein "besseres", "erfolgreicheres" und vor allen Dingen "finanziell freies" Leben gemacht wird, so wird einem Angst und Bange. Man bekommt den Eindruck, dass es alle schon geschafft haben. Alle sind sie glücklich, frei und stinkreich. Etliche Coaches, Trainer und Berater haben es schon geschafft. Und auch ich kann es schaffen, versprechen sie mir. Ich muss nur aus meiner Komfortzone raus, den Job schmeißen und mir natürlich einen Online-Kurs oder ein Seminar bei den Meistern des Lebens buchen.
Da ist sie also, die lang ersehnte Zauberkugel für ein glückliches, erfolgreiches Leben in Reichtum: Kurs buchen, "Tschakka" rufen und das eigene Leben mit harten Schnitten auf links drehen. Easy.
Zum Glück gibt es aber auch auf Instagram und im gesamten Web (natürlich auch offline) viele gute, realistisch-denkende und vor allem gut ausgebildete Lebensberater und -Begleiter, die die Hürden der Verwandlung des eigenen Lebenskonzeptes professionell bewerten können. Ich selbst bin mir meines Wandels mittlerweile bewusst(er) und schaue mir die unterschiedlichen Phasen meiner Entwicklung gerne im Rückspiegel an. Es ist interessant zu erkennen, wofür manche Schwierigkeiten letztlich sehr, sehr hilfreich waren. Ich selbst habe überschnelle Veränderungen hinter mir und habe für mich immer wieder in der Rückschau erkannt, dass es den harten "Cut" nicht gebraucht hätte - ich sogar von einem sanfteren und analytischeren Veränderungsprozess vermutlich stärker profitiert hätte.
Ein Lebenswandel, ein Veränderungsprozess, beinhaltet immer verschiedene Phasen und Stufen. Das abrupte Abbrechen einer Lebenssituation führt selten zum erträumten Ergebnis. Warum? Weil jede Situation und jede Lebensphase (längere, wie kürzere) voller Lernprozesse und Erfahrungen stecken, die gelebt und verstanden werden wollen. Harte "Cuts" zerschneiden sinnbildlich den gesunden Entwicklungsprozess und beenden, bevor wir Wissen aus diesem ziehen können und weiter kommen im Leben. Natürlich gibt es Lebensbedingungen, die schnelle und abrupte Wandlungen und Trennungen unabdingbar machen, wie Situationen körperlicher oder seelischer Gewalt. Aber grundsätzlich ist das übereilte Verlassen einer Phase durch eine schnelle Trennung selten der goldene Weg zum Glück.
Um zurück zum "Instagram-Tschakka-Seminar-buchen-Geschreie" zu kommen: Nie ist das Buchen einer Fortbildung, das morgendliche Brüllen von Motivationssprüchen und der berufliche Schnellschuss vom Angestellten-Dasein in die Laufbahn als selbständiger Life-Coach oder Marketingberater, Vertriebshengst, der alleinige Schlüssel zum Erfolg. Meines Erachtens ist es das mal behutsamere, mal agilere Drehen des eigenen Lebens hin zu Aspekten, die mich meiner Vorstellung, eines glücklichen Lebens, näher bringen. Es ist eine achtsame und (selbst-) bewusste Drehung. In jedem Falle ist es aber immer eine Vielzahl an Dingen, die zusammenspielen. Darunter kann auch das Besuchen einer Fortbildung, auch das Integrieren von Motivationsätzen in mein Morgenritual, auch das Lesen von Fachbüchern, auch das Reisen oder auch das Wechseln des Jobs fallen. Aber wohl überlegt und Schritt für Schritt und eben nicht separiert von einander als alleinige Hilfsmethode. Entscheidend ist nicht zwingend was du machst, sondern, dass du es bewusst machst. Wer sich selbst kennt, weiß was er oder sie braucht.
Weg von den harten Cuts bedeutet: Bist du nicht zufrieden in deinem Job, musst du nicht gleich die 100%-Stelle im Angestelltenverhältnis kündigen und ein Gewerbe anmelden, so wie es dir vielleicht von manchen Instagramern propagiert wird, um glücklich und frei zu sein. Du kannst auch von Vollzeit in Teilzeit reduzieren und die gewonnene Zeit in ein nebenberufliches, selbständiges Engagement investieren. Du kannst dir ein zweites Standbein aufbauen und somit eine neue Phase deines Lebens einläuten, einen neuen Entwicklungsprozess in Gang setzen und dadurch neue Erfahrungen und somit neues Wissen generieren - ohne die alte Phase, aus der du nun herauswächst, hart von deinem Lebensprozess abzuschneiden.
Und sobald die alte Phase als Angestellter vollends abgeschlossen ist - beziehungsweise, sobald die neue Phase bereit für so viel Aufmerksamkeit ist - folgt der vollständige
Schritt ins eigene "Business" (wie die Instagramer das so nennen). Und wie gesagt: Natürlich kann man in beiden Phasen auch "Tschakka" rufen, auch in Eis baden und sich auch die Achselhaare über den Kopf wachsen lassen. Zauberhaft.
Ist das ein Konzept für dich? Ich bin gespannt.